Was ist Integrative Atemtherapie (Rebirthing)?

Leonard Orr
Leonard Orr

Von Ralf Lieder, Qualified Rebirther und Ganzheitlich Integrativer Atemtherapeut

Die Integrative Atemtherapie gehört zu den Methoden der Selbsterfahrung, die in den letzten Jahrzehnten eine große Beachtung und Zulauf fand. Es hat sich in den gut 30 Jahren seit seiner Entdeckung durch Leonard Orr - der ihr die Bezeichnung "Rebirthing" gab - in geradezu atemberaubenden Tempo zu einer der wirkungsvollsten, fundiertesten und umfassendsten Therapieform der heutigen Zeit entwickelt.

In allen Kulturen und zu allen Zeiten galt die Atmung als wichtigste Lebensfunktion des menschlichen Körpers. Der Mensch war tot, wenn er aufhörte zu atmen. Mit Ausnahme der modernen westlichen Welt bedeutete Atmen in allen Kulturen mehr, als nur einfach instinktiv die Bedürfnisse des Körpers nach Sauerstoff zu erfüllen. Seit Jahrtausenden wissen die Menschen, dass bewußtes, kontrolliertes Atmen gezielt eingesetzt werden kann, um die geistigen und körperlichen Kräfte zu stärken. Spezielle Atemtechniken wurden entwickelt, um die alltäglichen Grenzen unserer körperlichen und geistigen Möglichkeiten zu überwinden.

Das Rebirthing, in seiner Weiterentwicklung auch "Integrative Atemtherapie", "Verbundener Atem" oder "Energieatmen" genannt, ist eine solche spezielle Atemtechnik. Man atmet dabei ähnlich entspannt, verbunden und umfassend, wie es die meisten Leute im Tiefschlaf tun. Dieses Atemmuster löst körperlich und seelisch einen natürlichen Reinigungsprozess aus. Die Kombination von tiefer Entspannung, Offenheit von Körper und Geist und einem erhöhten Sauerstoffangebot kann viele Blockaden lösen, die den natürlichen Kreislauf in unserem Körper behindern.

Eine Atemtherapie-Sitzung

Die Atemtechnik beim Rebirthing hat sich als wirkungsvoll erwiesen, wenn es darum geht, wieder Zugang zu alten Erinnerungen zu finden. Bevor unser Gehirn voll entwickelt war, wurden Erinnerungen als physische Empfindungen in verschiedenen Zellen unseres Körpers registriert und gespeichert.

Diese sehr frühen Erinnerungen sind unserem Verstand nicht zugänglich, denn sie haben sich nicht unserem Gehirn eingeprägt, sondern nur den jeweiligen Körperteilen, die an der ursprünglichen Erfahrung beteiligt waren. Jeder Gedanke und jedes Gefühl stellt eine Form von Energie dar – und kann durch den Atem wieder reaktiviert und erfahrbar gemacht werden.

Erreicht wird diese Stimulation durch kreisförmiges Atmen in vollkommener Entspannung. Sie ermöglicht es den blockierten Erinnerungen, wieder an die Oberfläche zu kommen. Solche blockierten Erinnerungen sind mit Ereignissen verknüpft, die aus irgendeinem Grund nicht verarbeitet und integriert werden konnten; sie wurden einfach ins Unbewußte verdrängt. Mit Rebirthing können diese Blockaden gelöst, mit unserem heutigen Bewußstsein verarbeitet und anschließend integriert, d.h. bejahend angenommen werden, so dass sie uns in unserem vollen Lebensausdruck nicht mehr behindern.

Die Entwicklung von Rebirthing und Integrativer Atemtherapie

Rebirthing wurde in den frühen siebziger Jahren in den USA entwickelt, hauptsächlich von Leonhard Orr. Er hat dazu mit verschiedenen Atemmustern experimentiert und ihre Auswirkungen auf Körper und Seele untersucht.

Orr hat ursprünglich keine systematische psychologische Forschung betrieben, sondern war auf der Suche nach "Methoden, sich selbst zu verbessern". Er entdeckte, dass das kreisförmige Atmen (Aus- und Einatmen ohne Pause) lebhafte Erinnerungen an seine eigene Geburt und andere traumatische Ereignisse auslösten. Später begann er, andere zu lehren, wie sie diese Erfahrungen selbst machen konnten und stellte fest, dass die meisten Menschen genauso reagierten wie er selbst. Wegen der immer wiederkehrenden Geburtserlebnisse, bzw. eines Gefühls von "Wie neu geboren werden", wurde die Methode als Rebirthing bekannt.

Anfangs führte Orr alle Atemübungen im warmen Wasser durch, weil er dachte, Wasser sei ein wichtiger Bestandteil der Erfahrung. Mit der Zeit stellte er aber fest, das "trockene Sitzungen" zum gleichen Ergebnis führten.

Leonard Orr entdeckte weiterhin, dass nach einer Reihe von Atemsitzungen im Laufe der Zeit die starken emotionalen Reaktionen verschwanden, wenn es der betreffenden Person gelang, die Auswirkungen der traumatischen Erfahrungen zu verstehen. Dieser Prozess wurde später als Integration bezeichnet und ist ein wichtiges Element des Rebirthing. Die Integration, das bejahende Annehmen, führt nicht nur dazu, dass die traumatischen Reaktionen verschwinden, sondern sie löst auch alle Verhaltensmuster auf, die damit verbunden sind.

Die Integrative Atemtherapie

Die integrative Atemtherapie basiert auf den Grundlagen des Rebirthing, hat sich seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts aber als eigener Weg etabliert. War und ist für Leonard Orr die von ihm entwickelte Atemtechnik des Rebirthing vor allem ein Mittel zur spirituellen Weiterentwicklung, so sahen mehr und mehr Anwender und Therapeuten das immense Potential im therapeutischen Kontext. Weltweit haben sich die Integrativen Atemtherapeuten in der International Breathwork Foundation (IBF) zusammen geschlossen.

Hans Mensink und Tilke Plateel-Deur

In Deutschland hat vor allem das Institut für Ganzheitlich Integrative Atemtherapie großen Anteil an der Weiterentwicklung dieser Methode. Die Holländer Tilke Plateel-Deur und Hans Mensink lernten 1979 in den Vereinigten Staaten die Arbeit von Leonard Orr kennen. Seine Rebirthing-Therapie beeindruckte sie durch ihre Einfachheit und Wirksamkeit. Im Laufe der Jahre und durch die Erfahrung mit sehr vielen, länger dauernden Wachstumsprozessen haben sie diese Methode immer weiter verfeinert. Sie ließen sich dabei ebenso durch neuere Entwicklungen in der Humanistischen und Transpersonalen Psychologie inspirieren wie durch die jahrtausendealte Tradition der Mystik im Osten.

Nach und nach verstanden Sie immer mehr, daß jeder Mensch in einer Atmosphäre von Aufmerksamkeit, Liebe und Respekt wieder seines wirklichen Wesens, seiner Essenz, bewußt werden kann und damit schließlich der Aufgabe seines Lebens. Dies äußert sich auf eine natürliche Weise in Kreativität, in erfüllten persönlichen Beziehungen und in einer sinnvollen Arbeit. Seit 1982 begannen sie ihre Erfahrungen in einer dreijährigen Ausbildung zum Integrativen Atemtherapeuten an andere zu vermitteln.

Die fünf Elemente

Die verschiedenen Schulen und Richtungen der Integrativen Atemtherapie/Rebirthing haben in den letzten 40 Jahren die theoretischen und praktischen Grundlagen des Rebirthing verfeinert und weiterentwickelt. Eine der theoretischen Grundlagen sind die fünf Elemente des Rebirthing:

Das erste Element ist das kreisförmige Atmen. Man atmet in einem ununterbrochenen Rhythmus, ohne Pause zwischen Ein- und Ausatmen, wobei das Ausatmen entspannt, quasi "von selbst" geschieht.

Das zweite Element ist vollkommene Entspannung. Der Atemtherapeut/Rebirther leitet seine Klienten dazu an, den Körper und den bewertenden Verstand völlig zu entspannen, loszulassen und nur die Atemmuskeln weiter zu benutzen. Körperliche Entspannung ist die Voraussetzung für die Integration.

Das dritte Element ist die bewußte Wahrnehmung aller Einzelheiten. Der Atmende macht sich zum genauen und interessierten Beobachter seiner Erlebnisse – ohne sie zu beurteilen.

Das vierte Element ist die "Integration in Ekstase". Alles, was bisher in einen negativen und damit abwertenden Zusammenhang gestellt wurde, wird nun in einen positiven Zusammenhang verlagert, in dem es "gefeiert" wird, indem man es be"ja"ht. Gefühle wie beispielsweise Traurigkeit oder Angst sind nun mal da, dann kann ich sie auch in Ruhe betrachten und höre auf, dagegen zu kämpfen.

Das fünfte Element ist die Bereitschaft, der eigenen Intuition, dem eigenen Selbst zu folgen. Statt inneren Befehlen wie "Du mußt dies und das tun", gibt man sich dem hin, was gerade passiert.

Atemtherapeuten und Atemsitzungen

Die integrative Atemtherapie/das Rebirthing ist keine Therapie für schwerwiegende Erkrankungen, Rückführung, Religion, Psychologie, Yoga, Medizin, Hypnose, nichts wo man beitreten kann und es ist kein Ersatz für eines dieser Dinge. Es ist ein natürlicher, organischer Prozess von Verstand und Körper, bei dem es um die Empfindungen in unserem Körper und die Integration unterdrückter Gefühle geht.

Die Methode eignet sich in erster Linie für "gesunde" Menschen, die ihre Vergangenheit klären wollen und die Verantwortung für sich übernehmen können und wollen.

Es gibt keine einheitliche Atemtherapie- oder Rebirthing-Ausbildung. Menschen, die Ihnen das verbundene Atmen lehren können, haben diese Methode auf unterschiedliche Art und Weise gelernt - vom Dreiwochen-Seminar bis hin zu mehrjährigen Ausbildungen. Bei der Suche nach einem Therapeuten oder Coach sollten Sie sich nicht nur von Zertifikaten und Berufsbezeichnungen leiten lassen, sondern auch von Ihrer Intuition. Oft werden kostenlose Informationsgespräche angeboten, bei dem Sie sich ein Bild von seiner/ihrer Person machen können, welche Ausbildungen er/sie absolviert und welche Lebens- und Berufserfahrung er oder sie hat.

Atemsitzungen dauern in der Regel zwischen ein und zwei Stunden in einer angenehmen und enstpannten Atmosphäre. Auf einem Stuhl, einer Liege oder auf einer weichen Matratze beginnen Sie bei geschlossenen Augen bewusst ein- und auszuatmen. Der Begleiter wird Sie anleiten, die Pause zwischen Ein- und Ausatem wegzulassen und in einen kontinuierlichen Kreisatem überzugehen. Während einer Sitzung werden Sie auf ein zentrales Erlebnis zusteuern (ein Gefühl, eine Erinnerung, oder eine Einsicht), Verwandlungen erleben (Integration!) und die Sitzung ausklingen lassen. In der letzten Phase kommt es oft zu einer sehr tiefen Entspannung, zu einem völlig frei fließenden Kreisatem und zu bisher nicht gekannten Zuständen von Frieden und Glück.

Atemsitzungen sind in der Regel Einzelsitzungen im Trocknen. Manche Atemtherapeuten bieten aber auch Gruppensitzungen oder Seminare an, die sehr stimulierend und unterstützend wirken können. Ein besonderes Erlebnis ist das Warmwasser-Rebirthing. Die Teilnehmer atmen im warmen Wasser mit Hilfe eines Schnorchels und unterstützt von einem oder zwei Begleitern. Weil das Wasser warm und nass ist und der Teilnehmer, von Unterstützern gehalten, im Wasser schwebt, ist die Situation ähnlich wie im Mutterleib. Deswegen werden Erinnerungen an die Geburt und frühe Kindheitsjahre besonders gut aktiviert.

Viele Rebirther verwenden zur Unterstützung der Prozesse ihrer Klienten zusätzliche Techniken oder Methoden wie beispielsweise Affirmationen, Massage, Voice-Dialogue, Energiearbeit usw.

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